venerdì 19 ottobre 2012

Wer zurück in die Vergangenheit will, verliert zweimal. Verklungen in Max Joseph ottobre

Wer zurück in die Vergangenheit will, verliert zweimal.
Verklungen
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Italien 61
Text Giuseppe Pennisi
Giuseppe Verdi gilt, ob zu Recht oder zu Unrecht, auf der
ganzen Welt als Schlüsselfigur des Risorgimento, jener nationalstaatlichen
Einheitsbewegung, die im 19. Jahrhundert
zur Bildung des Königreichs Italien führte. Auch wenn seine
Werke sich oft durch einen allgemeinen Politikverdruss auszeichnen,
so haben doch die Libretti und vor allem seine
Musik die Herzen der Menschen aller Gesellschaftsschichten
angefacht. Seine Opern waren grundlegend dafür, dass
sich in Italien während des Risorgimento, das sich über drei
Unabhängigkeitskriege und auch den Ersten Weltkrieg erstreckte,
ein italienischer Nationalpatriotismus bildete. Verdis
Opern waren die Vox Populi des Landes, das zuvor die
Heimat der „eigenwilligen und stolzen Muse“ war, nach dem
treffenden Begriff des Musikwissenschaftlers Herbert Lindenberger.
Verdis Opern sind die weltweit am häufigsten
aufgeführten – beachtliche 3020 Mal wurden sie in den Spielzeiten
2007/08 bis 2011/12 laut Operabase aufgeführt. Damit
liegen sie weit vor Mozart mit 2410, Puccini mit 2294 und
Wagner mit 1292 Aufführungen. Demnach ist Verdi de facto
der bedeutendste Botschafter Italiens und seiner Kultur in
der Welt.
Dennoch droht der 200. Geburtstag Verdis gerade in
dem Land, in dem er geboren wurde und gewirkt hat, zu
einer kümmerlichen Jubiläumsveranstaltung zu werden,
ohne die ihr gebührende, internationale Resonanz. Ausnahmen
bilden, das sei vorweggeschickt, das Teatro alla Scala
und das Teatro dell’Opera in Rom, die einige neue Produktionen
auf den Spielplan gesetzt haben. Die anderen Theater
kramen größtenteils veraltete, verstaubte Inszenierungen
aus dem Fundus. Vor allem das Festival Verdi, das jedes
Jahr im Oktober Touristen aus aller Welt nach Parma lockte
und Verdis Wirkungsstätten im Umland belebte, ist praktisch
tot. Es hatte einen Festspielplan geben sollen mit einem
Fokus auf drei Neuinszenierungen von Otello, La battaglia
di Legnano und Don Carlo. Des Weiteren sollte es eine
Konzertreihe mit dem Orchester des Teatro Regio unter der
Leitung von Yuri Temirkanov geben und, wie mittlerweile
üblich, kleinere Konzerte mit einem Potpourri beliebter Arien
und Chöre aus anderen Verdi-Opern. Der Vertrag des Generalintendanten,
der am 30. Juni 2012 auslief, wurde nicht
verlängert. Ein neuer Intendant wurde nicht benannt; stattdessen
wurde ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben,
der einige Monate in Anspruch nehmen wird. Parmas
Oberbürgermeister hat einen Spielplan angekündigt, der
aus der Wiederaufnahme einer alten Rigoletto-Inszenierung
besteht, für die Pierluigi Samaritani (1994 verstorben) firmierte,
mit dem 70-jährigen Leo Nucci als Hauptdarsteller.
Es ist eine neue Produktion von La battaglia di Legnano
vorgesehen, in der Regie des 82-jährigen Pier Luigi Pizzi, für
die der 25-jährige Andrea Battistoni als Dirigent und ein
junges Stimmencast größtenteils ausländischer Sänger verpflichtet
wurde. Dieser bescheidene Spielplan wird durch
ein „Verdi-Konzert“ am 10. Oktober ergänzt, dem 199. Geburtstag
des Komponisten. Nicht nur, dass das Teatro Regio
di Parma, dessen Musikdirektor formal Temirkanov ist, faktisch
abgeschoben und durch das Symphonieorchester Toscanini
ersetzt wurde, das jahrelang, aber seit fünf Jahren
nicht mehr, von Lorin Maazel geleitet wurde. Es gibt zudem
auch keinerlei Hinweise auf einen Spielplan für das Jahr
2013, dem Jubiläumsjahr, für das eine Gesamtaufnahme von
Verdis Werk in einer Sonderausgabe des Teatro Regio geplant
war. Es ist bekannt, dass man namhafte Künstler zwei
bis drei Jahre im Voraus engagieren muss. Vermutlich wird
nicht einmal das bescheidene Festivalprogramm im Oktober
realisiert werden können, denn während dieser Artikel geschrieben
wird, ist bekannt geworden, dass sich ein wichtiger
Sponsor zurückgezogen hat.
Die Ereignisse um das Verdi-Festival sind ein vielsagendes
Signal dafür, dass in Italien die Oper in den letzten
50 Jahren ihre Funktion als Vox Populi eingebüßt hat. Die
Zuschauerzahlen gehen zurück. Auch wenn die Zahlen nicht
ganz übereinstimmen, so zeigen die jüngsten Erhebungen
des EU-Statistikamtes Eurostat sowie eine Studie des österreichischen
WIFO-Instituts, dass Italien in Europa das
Schlusslicht ist, was die Anzahl von Opern- und Konzertbesuchen
im Verhältnis zur Bevölkerungszahl angeht. Das Publikum
ist überaltert. Mehr als die Hälfte der Abonnenten
ist älter als 60 Jahre. Die 13 nationalen Opernstiftungen
(Fondazioni Liriche Nazionali) und die 23 sogenannten Traditionstheater
kommen in immer größere finanzielle Schwierigkeiten.
Man muss sich vor Augen halten, dass die Stiftungen
privatrechtliche Unternehmen sind, die ihre Aufgaben
in Großstädten wahrnehmen und sowohl öffentliche (Kultusministerium,
Region, Stadt) wie auch private Mitglieder
(Banken, Unternehmen) haben. Sowohl die Stiftungen wie
auch die Traditionstheater werden durch den Fondo Unico
per lo Spettacolo, also den Gemeinschaftsfonds der darstellenden
Künste, abgekürzt F.U.S., finanziert. Auch dieser
musste im Rahmen des Programms für Struktur- und Finanzausgleich,
das zwischen Italien und der EU vereinbart
wurde, drastische Kürzungen hinnehmen. 2010, infolge zahlreicher
Protest- und Streikaktionen des Stiftungspersonals
Im Verdi-Jubiläumsjahr ist
Oper in Italien nicht
Vox Populi.
Ein Klartext von Giuseppe
Pennisi.
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(ca. 6000 Orchester-, Chor- und Verwaltungsangestellte) hat
der F.U.S., als vorläufige Maßnahme, eine Zuwendung aus
der Benzinsteuer erhalten und es wurde eine neue Rahmenregelung
getroffen, deren Anwendung zum 31. Dezember
2012 erwartet wird. Aber der Termin könnte auch verschoben
werden.
Was die finanzielle Situation der italienischen Opernhäuser
betrifft, sind vor allem die 13 großen Opernstiftungen
in ernsthaften Schwierigkeiten. In den letzten zehn Jahren
haben diese einen Schuldenberg von 300 Millionen Euro angehäuft.
Im Jahr 2009, dem letzten Wirtschaftsjahr, für das
es Belege vom Rechnungshof gibt, hatten nur drei der 13
Opernstiftungen entweder einen Überschuss erwirtschaftet
oder einen ausgeglichenen Haushalt; staatliche Subventionen
wurden im Zuge der allgemeinen Anpassung an europäische
Vorgaben reduziert und werden in naher Zukunft vermutlich
noch weiter gedeckelt. 80 Prozent der Ausgaben
fließen in die Gehälter von Verwaltung, Orchestern, Chören
und Technikern, die beinahe alle in unbefristeten Vollzeit-
Arbeitsverhältnissen stehen; wenn man Mieten und Nebenkosten
noch dazuzählt, bleibt wenig Spielraum, um Künstler
zu engagieren – dauerhafte Ensembles an Opernhäusern
gibt es gar nicht – und um Opern neu zu inszenieren und
wiederzubeleben. In der Konsequenz ist die Produktivität
sehr niedrig und sind die Durchschnittskosten einer Aufführung
sehr hoch, beinahe doppelt so hoch wie im europäischen
Durchschnitt. Und durchschnittlich bringen die 13
Opernstiftungen jährlich jeweils etwa 80 Aufführungen auf
die Bühne, im Vergleich zu 150 Aufführungen im europäischen
Mittel (in das Italien allerdings eingerechnet ist).
Bilder Roni Horn
Finanziell bleibt wenig
Spielraum, um Künstler
zu engagieren – dauerhafte
Ensembles an Opernhäusern
gibt es gar nicht. Und
ohne eine dramaturgische
Reform von innen wird es
kaum möglich sein, die
Veränderungen in der
Gesellschaft künstlerisch
zu interpretieren.
Man muss vor allem aber das Publikum wieder ins Theater
bringen. Das liegt zum Teil in der Verantwortung der Politik.
Erst jetzt nämlich wird die musikalische Erziehung wieder
in die allgemeinbildenden Schulen eingeführt, nachdem
50 Jahre lang Stillschweigen herrschte. Jahrzehntelang galt
die politische Aufmerksamkeit dem Kino und dem Fernsehen,
auch was öffentliche Gelder anbetrifft. Aber, es ist auch
und vor allem Aufgabe des Theatermanagements. Man zieht
kein jugendliches Publikum an oder weckt bei einer neuen
Zuschauergeneration Lust auf Theater mit veralteten, überholten
Inszenierungen, die ein Publikum der 50er- und 70er-
Jahre zufriedenstellen konnten, aber keine Relevanz für
heute 20- oder 30-Jährige haben.
Es könnten daher nicht nur finanzielle, sondern auch
ästhetische Faktoren der wahre Grund für die Krise des Musiktheaters
in Italien sein. In vielen Ländern, insbesondere
in Mitteleuropa und in Nordamerika, wird das Management
eines Opernhauses zwei Fachleuten aus dem Metier übertragen.
So ergibt sich eine „duale“ Leitung, die sich vor allem
der Theaterliteratur, d.h. der Dramaturgie und ihrer Entwicklung
und Einordnung zu anderen Live-Darstellungsformen
verpflichtet fühlt. In Italien ist es üblich, die Leitung
einem Sovrintendente (einem Generalintendanten) zu übertragen,
der normalerweise aus dem administrativ-politischen
Bereich kommt; dieser wird von einem Musikdirektor
unterstützt, der fast immer Dirigent ist und außerdem nur
einen Teil seiner Zeit dem Theater, dem er angehört, zuwendet
und weitere Dirigate bei Konzerten und Opernproduktionen
übernimmt. Es kam in letzter Zeit gelegentlich vor,
dass Musiker, Musikwissenschaftler oder Komponisten das
Amt des Sovrintendente bekleidet haben: in Neapel in den
80er-Jahren, in Bologna Anfang des Jahres 2000. Eine einzige
italienische Opernstiftung, die des Teatro Massimo in Palermo,
hat einen Regisseur und zudem auch noch US-Amerikaner
als künstlerischen Leiter. Italienische Opernstiftungen
kennen die Funktion eines Dramaturgen nicht, die für andere
Länder typisch ist. Und nicht nur das: Eine einzige
Opernregieschule hat jahrzehntelang die italienischen Bühnen
beherrscht, nämlich die der prunkvoll ausgestatteten
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The Culture of Total Beauty
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und sorgfältig ausgearbeiteten, aber traditionellen Inszenierungen
von Visconti, Samaritani, Zeffirelli, Pizzi, Ronconi
(Namen, die für ein hohes Niveau stehen und auch im Ausland
geschätzt werden) und ihren Schülern. Diese „Schule“
hat, in vielerlei Hinsicht, andere Strömungen ausgebremst,
die Oper und andere Live-Darbietung zusammenbringen, sie
aktualisieren und dem sich weiterentwickelnden Publikumsgeschmack
und Opernverständnis anpassen wollten;
und zwar nicht wegen des sich ändernden Lebensalters, sondern
auch wegen der Einflüsse aus dem Sprechtheater, dem
Kino, dem Fernsehen.
Die Musikkritik, insbesondere die der allgemeinen
Presse, aber auch die der fünf Musikfachblätter, hat keine
Erneuerung vorangetrieben; sie ist, bezüglich Regie und
Dramaturgie, den traditionellen Konzepten verbunden geblieben.
Vor Kurzem gab es wichtige Vorstellungen, in Mailand
selbst, das in vielerlei Hinsicht Kulturhauptstadt der
Republik ist, wie Die Frau ohne Schatten von Richard
Strauss, in einer neuen Inszenierung von Claus Guth, oder
die Tosca, bei der Luc Bondy als Regisseur firmierte. Beide
wurden von den größten Tageszeitungen hart kritisiert. In
Rom wurde eine innovative Inszenierung der Tosca unter
der Leitung von Franco Ripa di Meana, einem der Regisseure
der neuen Generation, nach wenigen Vorführungen vom
Spielplan genommen. Demzufolge sieht die junge Generation
Oper eher als ein Museumsstück, weit entfernt und losgerissen
von ihrer Realität.
Eigentlich ist zwischen der alten Garde der Opernregie
und ihren Schülern das passiert, was man in der Wirtschaft
„kollusives Oligopol“ nennt – eine Absprache, denn
die Arbeitsmöglichkeiten der Schüler hängen zum Großteil
von der Fähigkeit ihrer „Meister“ ab, Türen zu öffnen, und
von der ebenso in alten Traditionen verankerten Musikkritik,
die häufig keine internationale Erfahrung hat.
Dies erklärt den Rückgang und die Überalterung der
Zuschauer und ist ausschlaggebender Faktor der geringen
Produktivität von Theatern. Wenn keine Reform von innen
stattfindet, kann man sich nur schwer vorstellen, dass es
lediglich durch eine Erhöhung der öffentlichen Finanzierung
– dort, wo es in der derzeitigen ernsten finanziellen Krise
möglich ist – der Oper gelingen sollte, die Veränderungen in
der Gesellschaft künstlerisch zu interpretieren.
Es gibt eine Reihe von Signalen des Wandels, wie
dem Aufkommen von Regisseuren wie Damiano Michieletto,
Francesco Micheli, Lorenzo Mariani, Leo Muscato, von
denen einige schon international bekannt sind. Mit der Modernisierung
von Opern nicht nur des üblichen Repertoires
nähern sie allmählich die Zusachauer, vor allem die jüngeren,
dieser eigenwilligen und stolzen Muse wieder an. Bleibt
nur zu hoffen, dass sie nicht ins Ausland flüchten.
Das Spiel liegt jetzt in den Händen der Verwaltungsorgane,
die die Generalintendanten ernennen. Im Fall der
Opernstiftungen sind es meist die Oberbürgermeister der
Städte mit festen Opernhäusern. Einige avancieren zu Förderern
des ästhetischen Wandels, z.B. in Mailand, Rom, Venedig
und Florenz. Andere, z.B. in Palermo, scheinen ihren
Blick rückwärts gerichtet zu haben. In einer Welt des
schnellen Wandels gehören schon die, die das Bestehende
verteidigen, zu den Verlierern und wer zurück in die Vergangenheit
will, verliert zweimal.
Die Oper kann sich nur durch konkrete Aktionen dahin
retten, wieder zur Vox Populi zu werden. „Die Zeit des
Jammerns ist vorbei“, wie der Schriftsteller Piero Bargellini,
damals Oberbürgermeister von Florenz, einmal sagte, als
er am 5. November 1966 in den Uffizien bis zu den Knien im
Schlamm steckte.
Aus dem Italienischen von Raffaella Marini
Giuseppe Pennisi lehrt an der Università Europea in
Rom und schreibt für verschiedene Wirtschafts- und
Musikzeitschriften über die europäische Opernlandschaft.
Er ist Mitglied des italienischen Nationalrats
für Wirtschaft und Arbeit. 2008 bis 2012 leitete er im
Kultusministerium den Ausschuss für Kulturwirtschaft.
Bilder Roni Horn, Cabinet of (Detail), 2001
Mehr über die Künstlerin auf S. 8
MAX JOSEPH Vielen Dank, dass
Sie sich die Zeit für ein Gespräch
über Oper in Italien und Vox Populi
nehmen.
INGE FELTRINELLI Gerne,
dennoch bin ich vielleicht nicht die
richtige Ansprechpartnerin, da ich
eigentlich, wie die Italiener sagen,
kein melomano, also kein wahnsinniger
Opernfan bin.
MJ Gehen Sie häufig in die
Oper?
IF Ich gehe gerne zu Premieren,
und am 7. Dezember, an
Sant‘Ambrogio, gehe ich
natürlich zur Eröffnung der
Scala-Saison, was mir sehr viel
Spaß macht.
MJ Und Ihre Lieblingsoper?
IF Ganz klar Don Giovanni. Mein
Operngeschmack ist nicht unendlich
kultiviert, aber meine Freunde sind
alle große Opernfans und Experten.
MJ Hat die Oper denn in
Italien nach wie vor diesen
fast mythischen Stellenwert,
den man ihr im Ausland gerne
zuschreibt? Also ist Oper
gleich Italien und Italien
gleich Oper?
IF Ja und nein. Die Italiener
verstehen sehr viel von der
Oper. Auch in der Provinz und
im Norden sind die Opernhäuser
noch immer eine Kultstätte.
Die Italiener haben die
Oper einfach im Blut. Sie
verehren große Künstler über
alles. Ein solcher single artist
„Meine Vox Populi sind unsere
Buchhandlungen “
ist für mich momentan Daniel
Barenboim. Er ist für mich am
Puls der Zeit.
MJ Wir nehmen hier wahr, dass
viele Opernhäuser in Italien in
großen Schwierigkeiten sind. Woran,
glauben Sie, liegt das?
IF Das liegt ganz eindeutig an der
populistischen Politik Berlusconis.
Für ihn und seine Politiker existierte
Kultur nicht. Die lange Zeit, in der er
die Politik dominiert hat, ist eine
Katastrophe. Die Vulgarität der
italienischen Kulturlandschaft ist
entsetzlich. Übrigens ist Mario
Monti, unser Ministerpräsident, ein
ganz großer Opernfan – Gott sei
Dank. Er besucht im Gegensatz zu
Berlusconi regelmäßig Vorstellungen
und immer am 7. Dezember die
Scala-Eröffnung.
MJ Was hat sich aus Ihrer
Sicht in den letzten Jahren in
der Oper verändert?
IF Die Oper ist moderner
geworden. Die Carmen-Inszenierung
von Emma Dante an
der Scala vor drei Jahren
fanden die alten Opernfans
gar nicht gut. Das war ihnen
zu modern, zu laut und zu
schrill. Ich hingegen habe
mich hervorragend amüsiert.
MJ Dass in der Oper die Musik das
Wichtigste ist, ist fast ein Gemeinplatz.
Hier in Deutschland wird aber
auch viel über die Inszenierung und
die Ästhetik auf der Bühne diskutiert.
Wie ist das in Italien?
Ist Oper gleich Italien und Italien gleich
Oper? Ein Anruf
bei der Mailänder Verlegerin
Inge Feltrinelli, die die
italienische
Kulturlandschaft kennt wie nur wenige.
IF Die Opernexperten unter meinen
Freunden sind alle mehr für konservative
Inszenierungen, oft auch an
der Grenze zum Kitschigen.
MJ Wie stehen Sie dazu?
IF Ich bin für junge neue
Regisseure. Die wilden neuen
Inszenierungen machen mir
Spaß. Allerdings habe ich
auch wenige Vergleichsmöglichkeiten.
In Deutschland
gehe ich nicht in die Oper.
Wenn ich etwa in Frankfurt
auf der Buchmesse bin, die ich
nie verpasse, finde ich leider
nicht eine Minute Zeit, noch
in die Oper zu gehen.
MJ Sie haben von den Veränderungen
in der Berlusconi-Zeit gesprochen.
Können Sie diese noch konkreter
beschreiben?
IF Er hat im Fernsehen vier Privatkanäle
und darüber hinaus Macht
über die staatlichen Kanäle. Die
Programme sind schrecklich. Gute
Sendungen über Bücher gibt es kaum
und auch Politiksendungen bestehen
hauptsächlich aus belanglosem
Gequatsche.
MJ Was versuchen Sie als
Verlegerin dem entgegenzusetzen?
IF Glücklicherweise haben
wir viele Buchhandlungen.
Meine Vox Populi sind unsere
Buchhandlungen. Wir haben
beispielsweise in Mailand die
alte Ricordi-Buchhandlung
übernommen, in der wir noch
Foto Leonardo Cendamo
Inge Feltrinelli 65
immer hauptsächlich Opernlibretti
und andere aus dem
Bestand des Verlages stammende
Bücher anbieten.
Dieser Laden ist wunderschön
und einmalig.
MJ Muss oder soll eine Kulturinstitution
darauf achten, dass es vielen
Leuten gefällt? Wie gehen Sie damit
als Verlegerin um?
IF Wir versuchen Qualität zu
machen, aber wir wissen auch, dass
viele Bücher sich nicht gut verkaufen,
und müssen dafür manchmal
Mainstream-Bücher machen, die
jedoch auch eine gewisse Qualität
besitzen sollen. Wir glauben aber
immer noch, die Welt mit Büchern
verändern zu können, auch wenn das
vielleicht eine Utopie ist.
MJ: Gilt das auch für die
Oper?
IF: In Italien, wo es eine tiefe
Symbiose der Menschen mit
der Oper gibt, ist dies möglich.
MJ Wirkt die Oper noch für alle
Gesellschafts- und Altersschichten
integrierend?
IF Ich glaube, die jungen Leute sind
weniger interessiert, da sie von den
breiten Kultur-Massen überfordert
sind. Es gibt einfach enorm viele
Einflüsse, denen sie und wir alle
ausgesetzt sind. Wenn in einer
Familie jedoch eine Operntradition
existiert, bleibt diese auch bestehen,
da Italiener sehr familienbewusst
sind. Das ist ein großer Wert.
MJ Eines Ihrer Lieblingsbücher
ist Lampedusas Gattopardo.
Da gibt es einen berühmten
Satz: ‚Es muss sich alles
ändern, damit sich gar nichts
ändert.‘ Kann man das auch
auf die Oper übertragen?
IF Absolut. Man tut so, als ob
man weitermacht, aber im
Grunde bleibt man stehen.
MJ Könnte ein Grund für die
finanziellen Schwierigkeiten der
Oper in Italien sein, dass sie ästhetisch
und inhaltlich stehen bleibt und
man daher in der Politik schwer die
Notwendigkeit für Oper vermitteln
kann?
IF Das glaube ich weniger. Das liegt
viel mehr daran, dass an der Kultur
generell zu stark gespart wird. Aber
die Italiener haben eine alte Tradition,
auch aus dem Chaos heraus
kreativ zu sein.
MJ: Sehen Sie in der Literatur
momentan jemanden, der
wie Verdi in Italien zur Vox
Populi werden kann?
IF: Im Moment haben wir
eine Menge hervorragender
junger Autoren, die aber noch
nicht auf Weltniveau sind. Da
meine ich Autoren wie
Stefano Benni oder Alessandro
Baricco. Der letzte Autor
mit weltweit großen Auflagen,
der mir einfällt, ist Antonio
Tabucchi.
MJ Würden sie Tabucchi als Vox
Populi bezeichnen?
IF Dafür ist er vielleicht ein bisschen
zu schwierig. Aber sein Buch Erklärt
Pereira verkaufte sich in allen
Schichten der Bevölkerung sehr gut
und wurde diskutiert und verstanden.
Aber das ist eher ein Einzelfall.
Erri de Luca ist eine richtige Vox
Populi. Er schreibt unkompliziert
und einfach, aber er geht den Leuten
ans Herz.
MJ: Frau Feltrinelli, gehen
Sie am 7. Dezember in Lohengrin?
IF: Selbstverständlich. Ich
muss mich zwar erst an
Wagner gewöhnen, aber da
mein Freund Daniel Barenboim
das immer wunderbar
macht, gehe ich gerne hin.
MJ Wie steht es bei den Italienern
um Wagner?
IF Es geht so. Sie sind schon noch
eher Verdi-Anhänger.
Das Gespräch führten Maria März
und Rainer Karlitschek.
„In Lampedusas Gattopardo gibt es den berühmten Satz:
‚Es muss sich alles ändern, damit sich gar nichts ändert.‘ Kann
man das auch auf die Oper übertragen?“
– Max Joseph
„Absolut. Man tut so, als ob man weitermacht, aber im Grunde
bleibt man stehen.“
– Inge Feltrinelli
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Inge Schoenthal Feltrinelli leitet seit
1972 das Mailänder Verlagshaus Giangiacomo
Feltrinelli Editore, in Fortführung
des Werks ihres verstorbenen
Mannes Giangiacomo. Bevor die gebürtige
Deutsche 1960 nach Mailand
zog, arbeitete sie als
Fotoreporterin in
Hamburg, New York und Paris, wo sie
unter anderem Ernest Hemingway und
Simone de Beauvoir porträtierte und
einige ihrer Bilder weltberühmt wurden.
Seit 1972 hat Inge Feltrinelli zur
Eröffnung von mehr als 110 Feltrinelli-
Buchhandlungen in Italien beigetragen.
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Bereich erhielt sie zahlreiche nationale
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